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“Die Idee hinter dem Alpha-Theta-Training ist es, einen Zugang zwischen der bewussten und der unbewussten Ebene zu schaffen.” Über den Einsatz von Alpha-Theta-Training in der Therapie und als Methode der Selbstfürsorge - ein Interview mit Meike Wiedemann

13. Juli 2023

Gemeinsam mit Neurobiologin und Neurofeedback-Expertin Meike Wiedemann haben wir ein Interview zum Thema Alpha-Theta-Training geführt. Sie erklärt, was Alpha-Theta-Training eigentlich ist, wie sie es in ihrem Praxisalltag einsetzt und warum es eine Methode der Selbstfürsorge darstellt.

 

BEE Medic: Liebe Meike, vielen herzlichen Dank, dass du dir heute Zeit für uns nimmst. Kannst du zu Beginn beschreiben, was das Alpha-Theta-Training überhaupt ist? 
Meike:
Das Alpha-Theta-Training ist ein Bestandteil der sogenannten Othmer-Methode. Beim Alpha-Theta greifen wir im Prinzip auf das Frequenzbandtraining zurück. Im Gegensatz zum Wachtraining sprechen wir beim Alpha-Theta-Training auch vom Tiefenzustandstraining, weil der Zustand, den man damit erreichen möchte, eine Art Trancezustand ist. Bei dem Alpha-Theta-Training sitzen die Patient:innen mit geschlossenen Augen auf einem bequemen Sessel. Ihre Augen sollen Patient:innen während des ganzen Prozesses geschlossen halten, um in diesen Tiefenzustandsbereichen einen besseren Zugriff auf die Verarbeitung psychologischer Themen zu haben. Das ILF-Wachtraining wird hauptsächlich zur physiologischen Regulation eingesetzt. Das Alpha-Theta-Training geht eine Schicht tiefer, um die psychodynamischen Prozesse anzusprechen und auch Zugriff auf unbewusste Verarbeitungen zu haben. Die Idee hinter dem Alpha-Theta-Training ist es, einen Zugang zwischen der bewussten und der unbewussten Ebene zu schaffen. Das Alpha-Theta-Training zielt daher mehr auf die Psychodynamik ab und weniger auf eine körperliche Regulation. Wobei man sagen muss, dass innerseelische Vorgänge, die unser Verhalten prägen, auch eng mit körperlichem Empfinden verbunden sind und umgekehrt. Man öffnet im Alpha-Theta-Training die Pipeline, so dass die bewussten und unbewussten Systeme “verbunden werden können" und so auch die Ressourcen im Unbewussten genutzt werden können.

BEE Medic: Wofür steht eigentlich Alpha und für was Theta?
Meike:
Das sind die klassischen Frequenzbänder. Alpha ist ein Frequenzband um die zehn Hertz und Theta liegt tiefer, zwischen vier und sieben Hertz. Der Zustand im Alpha ist eine leichte Entspannung, man kann von einem entspannten Fokus sprechen. Im Vergleich dazu liegt Theta noch tiefer. Wenn wir vom ganzen Spektrum von Wachzuständen sprechen, dann gibt es diesen entspannten Fokus und wenn man dann mehr und mehr “nach innen geht” und in sich zurückzieht, dann befinden wir uns  eher in dem Theta-Bereich und den unterbewussten Zuständen.

BEE Medic: Wie setzt du das Alpha-Theta-Training in deiner Praxis ein?
Meike: Das Alpha-Theta-Training ist immer ein Zusatz zum ILF-Training, zum sogenannten Wachtraining. Mit dem ILF-Neurofeedback wird erstmal über mehrere Sitzungen eine Basis geschaffen, da gibt es keine feste Anzahl. Das heißt, man hat zunächst viele Sitzungen Wachtraining, um Symptome zu reduzieren und die zu behandelnde Person zu stabilisieren. Dann kann man für Themen,  bei welchen es um psychodynamische Prozesse geht, damit arbeiten. Beispielsweise die Veränderung von Glaubenssätzen, alte Gewohnheiten loszulassen oder auch bei der Verarbeitung von traumatischen Inhalten. Im nächsten Schritt geht es darum, eine Schicht tiefer zu tauchen, um Dinge auch aufzulösen. Im weiteren Verlauf einer Alpha-Theta-Sitzung fördert man durch das Neurofeedback sowohl Alpha- als auch Theta-Wellen. Am Anfang empfinden Patient:innen eine leichte Entspannung im Alpha-Bereich. Nach fünf bis zehn Minuten gehen die Patient:innen meistens noch einen Schritt tiefer in diese tranceähnlichen Zustände. In der Regel wechseln sie dann zwischen Alpha und Theta, oder haben auch mal längere Zustände im Theta. Das ist dann der Bereich, in dem man Zugriff auf die unbewussten Bereiche hat. Die Anwendung von Alpha-Theta-Training unterscheidet sich zwischen Patient:innen. Bei manchen bietet es sich an in jeder zweiten Sitzung Alpha-Theta-Training zu machen, bei anderen mag es sein, dass man alle drei, vier, fünf Sitzungen erst damit arbeitet, um die im Wachtraining erreichte Symptomreduktion beizubehalten und keine Rückschritte hervorzurufen. Was die Patient:innen aber im Alpha-Theta-Training erleben, das sind traumähnliche Zustände. Dinge verknüpfen sich und sie finden Lösungen, auf die sie mit bewusstem Denken nie gekommen wären. Es ist aber nicht so, dass das immer ganz bewusst ist, dass es “klick” macht. Sondern das passiert oft auf unbewusster Ebene.

BEE Medic: Warum ist es so wichtig, sich mit ILF-Neurofeedback auf das Alpha-Theta-Training vorzubereiten?
Meike: Man möchte, dass die Patient:innen das Alpha-Theta-Training  von einer sicheren Position aus erleben, und das braucht zunächst die Vorbereitung und die physiologische Regulation durch das ILF-HD-Training. Patient:innen, die sehr beladen sind, sei es mit emotionalen Problemen oder mit neurologischen Instabilitäten, so etwas wie Migräneattacken oder Kopfschmerz-Symptomen, können durch das Alpha-Theta-Training wieder getriggert werden. Oder wenn ich mit Menschen mit traumatischen Erlebnissen ein Alpha-Theta-Training ohne ILF-Training mache, dann kann es passieren, dass sie sich mit ihrem ganzen Erleben in diesem Trauma befinden. Ist jemand noch extrem ängstlich und kontrolliert, dann wird er oder sie sich auch nicht auf ein Alpha-Theta-Training einlassen können. Was dann passieren könnte ist, dass die Patient:innen die Augen aufreißen und sagen “das mach ich nicht!”, weil sie spüren, dass sie die Kontrolle verlieren. Das Loslassen und der entspannte Zustand wird dann als gefährlich und zu überwältigend empfunden, dadurch können unnötige Ängste getriggert werden.
Deshalb braucht es eine gute Vorbereitung, einerseits mit dem ILF-Training und andererseits natürlich auch eine entsprechend gute Beziehung zu dem/r Therapeut:in.

BEE Medic: Mit welchen Patient:innen machst du das Alpha-Theta-Training?
Meike: Alpha-Theta-Training kann die Effekte vom ILF-HD-Training nochmal richtig festigen. Bei Patient:innen, welche nach dem ILF-Training “noch nicht fertig” sind, kann das Alpha-Theta-Training nochmal einen Schwung in ihrer Weiterentwicklung erzielen. Die Person sollte es nur gut vertragen oder genügend vorbereitet sein, durch ILF-Training oder andere Selbstregulierungsmethoden. Ich hatte schon Patient:innen im Training, bei denen ich gesagt habe “Prima, die Kopfschmerzen sind weg, jetzt können wir das Training ausschleichen lassen”. Und die Patient:innen haben dann gesagt:“Nein, jetzt fangen wir erst richtig an. Ich hätte nie gedacht, dass ich in meinem Leben überhaupt so weit komme und jetzt habe ich noch diesen und jenen Wunsch.” Alpha-Theta-Training wird auch häufig im Bereich Peak Performance eingesetzt. Zum Beispiel kann ein:e Skifahrer:in gewisse Strecken durchlaufen oder ein:e Schauspieler:in  oder Sänger:in kann sich in diesem Zustand auf die Aufführung oder die Prüfung vorbereiten.

 

BEE Medic: Welchen Vorteil bietet das Alpha-Theta-Training deinen Patient:innen?
Meike: Das Alpha-Theta-Training kann einen weiteren Schub in der Veränderungsarbeit geben, in dem ganzen Therapieprozess und erlaubt eine Verarbeitung auf einer tieferen Ebene. Wenn ich das Alpha-Theta trainiere, dann trainiere ich auch für die Zukunft: Wie kann ich mich auf solche Zustände einlassen? Man kann dann viel mehr auf Ressourcen, die im Unterbewusstsein liegen, einen Zugriff schaffen und mehr davon nutzen.

BEE Medic: Warum macht man das Alpha-Theta-Training mit geschlossenen Augen? Und wie funktioniert dann eigentlich das Feedback?
Meike: Beim Alpha-Theta-Training ist es wichtig, die Augen zu schließen, damit man überhaupt in diesen tiefen Zustand gelangt. Das Alpha-Theta-Training ermöglicht in diesem Zustand, Dinge in einer Art Dissoziation noch einmal zu erleben. Das heißt es ermöglicht, sich selbst in einem sicheren Zustand zu fühlen, um Dinge nochmal unter einem anderen Blickwinkel verarbeiten zu können. Es ist wie eine “nach-innen-Schau”. Man richtet den Fokus weg von der Außenwelt und in die Innenwelt hinein. Und das ist natürlich schwer, wenn man von außen durch Bilder abgelenkt ist. Erst mit geschlossenen Augen tauchen die Alphawellen in dem Maß auf, in dem man in sich hineinschauen kann. Das Trickreiche beim Neurofeedback ist: Alles Feedback, das man braucht, also wie verhalten sich gerade die Alphaamplituden, Thetaamplituden, steile Anstiege in Amplituden, das wird alles auditiv zurückgemeldet. Man muss keine Angst haben, dass man mit geschlossenen Augen irgendein Feedback verpasst. Nichtsdestotrotz haben wir die Möglichkeit am Anfang bei dem Software Modul Alpha-Theta-Reflections, auch ein visuelles Feedback zu geben. Das erleichtert den Patient:innen oft den Einstieg. Das sind sogenannte guided imagery, die man in verschiedenen Sprachen zuschalten kann, sodass die Patient:innen unterstützt werden, in einen solchen Zustand zu gelangen. 

BEE Medic: Was sind deine bisherigen Erfahrungen mit Alpha-Theta-Training?
Meike: Ich habe auch schon in früheren Zeiten an der Uni mit Alpha-Theta-Training gearbeitet. Die Erfahrung ist, dass Patient:innen relativ schnell in solche Trancezustände kommen ohne, dass sie groß angeleitet werden müssen. Im therapeutischen Sinn ist es eine fantastische Möglichkeit für Patient:innen auf unbewusster Ebene psychodynamischen Prozessen zu unterstützen, zu verarbeiten, umzulernen und wirklich diesen Tiefenzustand zu nutzen, wie man das mit anderen Methoden auch macht. Ich arbeite auch mit Hypnosetherapie. Da gibt es relativ viele Parallelen dazu. 

BEE Medic: Kann man Alpha-Theta-Training als Therapeut:in auch an sich selbst anwenden?
Meike: Ich würde es jedem/r Therapeut:in ans Herz legen, selbst zu trainieren und selbst diese Tools zu nutzen. Und nicht nur in dem Sinn, dass man eine Selbsterfahrung macht, sondern damit man weiß, was die Patient:innen währenddessen erleben. Für mich selbst sind die Gewinnbringendsten das Synchronie und das Alpha-Theta-Training. Es gibt verschiedene Methoden für Selbstfürsorge, aber wenn ich Neurofeedback mache, dann sind Synchronie und Alpha-Theta meine Favoriten. Das bringt einen wirklich von dem Alltag herunter, auf eine andere Ebene, wie eine angenehme tiefe Meditation. Und es ist super einfach. Man muss nichts machen, außer sich die Elektroden aufkleben, das Programm starten und sich dann sozusagen berieseln lassen. Ich kann dann auch richtig abtauchen in diesen tiefen Zustand. Das finde ich sehr gewinnbringend und der Ablauf vom Rest des Tages ist dann ein komplett anderer, viel entspannter und gelassener, ruhiger. So gesehen finde ich das Alpha-Theta-Training, wenn man ein Neurofeedback-System zur Verfügung hat, eine relativ einfache Art der Selbstfürsorge.